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40 Jahre Ruanda-Komitee Bad Kreuznach

14. 11. 2023

40 Jahre Ruanda-Komitee e.V. Bad Kreuznach – 

persönliche Anmerkungen zu vier Jahrzehnten

 

 

Vorbemerkung

Über die Aktivitäten des Ruanda-Komitees Bad Kreuznach sind alle zehn Jahre „Zwischenbilanzen“ erschienen. Die CD zum dreißigjährigen Jubiläum ist noch bei mir verfügbar. Die weiterhin gepflegte Homepage des Komitees www.ruanda-komitee.de  gibt viele Informationen zu Projekten und der Arbeitsweise, sodass es keinen großen Sinn macht, dies alles noch einmal aufzuschreiben. Dieser Text ist ein Versuch, aus meiner persönlichen Sicht einige Eindrücke und Entwicklungen zu akzentuieren. Er bleibt subjektiv und unzulänglich, lückenhaft und diskussionswürdig. Er kann dem Engagement vieler Menschen in Rheinland-Pfalz und Ruanda für die Partnerschaft nur unzureichend gerecht werden. Illustriert wird er mit ausgewählten Bildern in einer Fotogalerie, die unter dem Titel „40 Jahre Ruanda-Komitee“ auf der Homepage eingestellt ist.

Karl Heil, im November 2023

 

Das Ruanda-Komitee e.V. Bad Kreuznach wurde am 14. November 1983 gegründet. In der Gründungserklärung hieß es u.a.: In einer Welt, in der die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird, gilt es Brücken zu schlagen, um – wie man in Ruanda sagt – den Fluss der Armut zu überqueren. Begleiter dieser Armut sind mangelnde Ernährung, unzureichende Gesundheitsversorgung, geringe Bildungsmöglichkeiten, wenig oder schlecht bezahlte Arbeit, unzulängliche Wirtschaftskraft, vielfach Überbevölkerung. […] Im Rahmen der Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda wollen wir im Bad Kreuznacher Raum Ruanda, eines der ärmsten, schönsten und volkreichsten Länder Afrikas, mehr bekannt machen, wollen den Erfahrungsaustausch mit denjenigen pflegen, die bereits in Ruanda an der Lösung von Problemen mitgearbeitet haben, wollen personell und materiell unsere Hilfe anbieten, eine Hilfe, die der Partner will, eine Hilfe, die zur Selbsthilfe animiert.“ 

 

Die 24 Gründungsmitglieder überlegten, mit welchen Initiativen die Bevölkerung von Bad Kreuznach und Umgebung informiert, um Unterstützung gebeten, wie Kontakte nach Ruanda hergestellt und welche konkreten Projekte im Partnerland angegangen werden könnten. 

Die Gründungsversammlung des Ruanda-Komitees war ein Beispiel für die Ambivalenz, mit der die Partnerschaft mit einer Gemeinde in Ruanda begonnen werden sollte. Die Idee kam „von oben“, wie die ein Jahr zuvor begründete Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz mit der Republik Ruanda mit Leben erfüllt werden kann, nämlich mit möglichst vielfältigen Aktivitäten von Bürgerinnen und Bürgern.  Auf der einen Seite war der feste Wille der Anwesenden zu spüren, etwas für die Menschen im rheinland-pfälzischen Partnerland zu tun. Auf der anderen Seite wussten wir aber viel zu wenig über Ruanda. Einig waren wir uns in dem Ziel, keine anonymen Großprojekte anzustreben, sondern „unten“ anzusetzen, in direkter Zusammenarbeit von Mensch zu Mensch, eben eine „Graswurzelpartnerschaft“.

 

Die politischen Verhältnisse der durchaus problematischen autokratischen Einparteiendiktatur sollten die Kontakte und Aktivitäten nicht beeinträchtigen. Von daher war es die Idee, als Verein von Privatleuten mit einem Komitee in Ruanda zusammenzuarbeiten und sich aus Personen in den Schulen, dem Gesundheitswesen und der Landwirtschaft zusammensetzte. Schlüsselfigur in Ruanda war der Bürgermeister von Bwakira als dessen Vorsitzender. Die Kommunikation lief vor dem Genozid 1994 über ihn. Wir waren tief betroffen, als er sich als einer der treibenden Mörder des Genozids entpuppte. Seine Rolle als Kriegsverbrecher ist ausführlich dokumentiert; er nahm nach seiner Flucht in den Kongo mit mir wieder Kontakt auf. Nachfragen von unserer Seite hat er nicht beantwortet. Von den 16 Komiteemitgliedern in Ruanda haben zwei den Genozid überlebt bzw. waren weiter aktiv. Wir hatten die Augen vor den sozialen und ethnischen Problemen nicht verschlossen und Anfang der 1990er Jahre die Hoffnung auf einen friedlichen Übergang. Die Entwicklung der 1990er Jahre darzustellen ist eine andere Geschichte und sprengt hier den Rahmen. Der Genozid und der Umgang mit dessen Folgen prägt Ruanda und die Partnerschaft bis heute.

 

 Eine „private“ Initiative als Komitee war Stärke und Schwäche zugleich: Direkte Kontakte gab es, wenn auch anfangs noch schwierig, auf dem Postweg, mit langen Laufzeiten.  Andererseits lehnten sich die Stadt und der Landkreis Bad Kreuznach zurück: „Man“ hatte in Bad Kreuznach ja jetzt eine Partnerschaft. Der Landkreis hat allerdings viele Aktivitäten immer wieder punktuell (und auch finanziell) unterstützt. Alle organisatorischen Aufgaben des Komitees wurden ehrenamtlich getragen, das war in Ruanda mit den hauptamtlichen Strukturen in Kommunen und Schulen einfacher.

 

Wir sammelten von Anfang an möglichst viele Informationen über Ruanda und bemühten uns, sie an die Bevölkerung in der Stadt und Region Bad Kreuznach weiterzugeben. Vorteil für mich war, dass ich zeitgleich bei der Erarbeitung von Unterrichtsmaterial des Regionalen Pädagogischen Zentrums beteiligt war, das 1984 in 2.000 Exemplaren allen Schulen in Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt wurde. Grundlegende informative Texte, Arbeitsblätter und eine kommentierte Diareihe! Man konnte sich damit ein besseres Bild machen, und in den vier folgenden Jahren war ich an über 60 Schulen im Land unterwegs, um über Ruanda und Schulpartnerschaften zu informieren.

 

Erste Veranstaltungen des Ruanda-Komitees wurden durchgeführt, die Öffentlichkeit über Ruanda allgemein informiert: Ausstellungen, Info-Stände in der Fußgängerzone, Vorträge in Schulen und Organisationen der Region. Im Bereich der Schulen und des Gesundheitswesens, der Wasserversorgung und mit landwirtschaftlichen Projekten gab es Möglichkeiten, die den Menschen in Bwakira direkt helfen konnten und die von ihnen selbst nachgefragt wurden. Sie waren auch konkret begreifbar zu machen und relativ überschaubar.

 

Bis zur Auflösung des Vereins 2018 hatte sich bei uns eine Struktur bewährt, wobei sich die Mitglieder mindestens einmal jährlich trafen, der Vorstand tagte mehrmals im Jahr und das „laufende Geschäft“ wurde vom Vorsitzenden und in herausragender Weise von der Schatzmeisterin Elisabeth Eminger bearbeitet. Den Vorsitz hatten nur drei Personen: Bernhard Jakob bis 1986, Klaus Schmitt von 1986 bis 1991, und Karl Heil von 1991 bis 2018.

 

Über Partei-, Berufs- und Altersgrenzen hinweg war es gelungen, Personen zu ehrenamtlichem Engagement zusammenzuführen und beharrlich (heute sagt man wohl nachhaltig) zu arbeiten - bei allen Problemen, die sich immer wieder zeigten. Nach der Jahrtausendwende hatte das Komitee über 60 Mitglieder, der aktive Kern war eher klein, eine einstellige Zahl.  Das Ende als eingetragener Verein war dann konsequent, weil es nicht gelungen war, die Zahl der aktiven Mitglieder, die sich in der Vereinsarbeit wenigstens mittelfristig engagieren wollten, zu erhöhen. Die Fortführung in der Form eines (gleichnamigen) Freundeskreises nach der Liquidation kann noch einen gewissen Rahmen für Aktivitäten bieten. Der bisherige Vorsitzende bleibt weiter der Ansprechpartner für die Schulen und Schulpartnerschaften und macht Öffentlichkeitsarbeit, auch bleibt die Homepage des Komitees verfügbar. Die informelle Einrichtung eines Freundeskreises ermöglicht es uns auch, dass die beim Partnerschaftsverein eingehenden zweckgebundenen Spenden mit unserer Zustimmung für die Fortführung der bisherigen Arbeit eingesetzt werden können. Bis heute gilt. Spenden gehen zu 100 Prozent in Projekte, es gab und gibt keinerlei Abzüge oder Nebenkosten.

 

Durch erste Besuche konnten „vor Ort“ in Ruanda eigene Eindrücke von der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage gewonnen werden. Zum Jahreswechsel 1989/90 weihten Klaus Schmitt, Karl Heil und Dr. Hans-Helmut Wilhelm die erste mit Hilfe des Landes Rheinland-Pfalz und Spenden des Ruanda-Komitees gebaute Primarschule in Muhororo/Bwakira ein. Es war eine turbulente Zeit: Die Mauer in Deutschland war gefallen, der Ostblock in Auflösung, der rumänische Diktator Ceaucescu hingerichtet worden. Unter vier Augen und hinter vorgehaltener Hand wurde gefragt, ob das vielleicht allen Diktatoren und Autokraten jetzt so gehen könnte. Der Aufmarsch von vielleicht 3.000 Schülerinnen und Schülern aus der Gemeinde, die stundenlange Fußwege in geschlossener Formation zur Einweihungsfeier zurückgelegt hatten, erinnerte sehr an stalinistische Aufmärsche und Massenmobilisierung, auch in Ruanda.

 

Die Schulen in der Gemeinde Bwakira, in die wir blicken konnten, waren oft in einem erbärmlichen Zustand. Bilder aus dem Jahr 1989 zeigen dies – und dass noch viel zu tun war. Der Bau von Schulgebäuden war denn auch ein Schwerpunkt der Arbeit des Komitees. Schulpartnerschaften konnten begründet und dauerhaft unterstützt werden, vom Land Rheinland-Pfalz meistens mitfinanziert. Kooperativen für Frauen, um die sich unsere Schatzmeisterin Elisabeth Eminger mit großem Elan und viel Herzblut kümmert, wurden auf den Weg gebracht, Wasserversorgungen für viele Tausende Menschen gebaut. Mehr als ein Dutzend Aufenthalte in Ruanda wie auch die Besucherinnen und Besucher aus Ruanda trugen dazu bei, ein besseres Bild der Lage der Menschen zu gewinnen. Wenn man sich kennt, wird vieles leichter.  

 

Seit 1984 hatte das Komitee partnerschaftliche Beziehungen zur ruandischen Gemeinde Bwakira. Diese wurde Anfang 2001 die Südhälfte des neu gebildeten Distrikts Budaha. Seit 2006, nach der nächsten Verwaltungsreform in Ruanda, konzentrieren wir unsere Zusammenarbeit auf die Sektoren Murambi und Murundi im Distrikt Karongi (West-Provinz). Damit sind wir räumlich weiterhin im Kernbereich der ehemaligen Gemeinde Bwakira tätig, einem ländlichen, eher schwach entwickelten Teil mitten in Ruanda, der im Gegensatz zur boomenden Hauptstadt Kigali nur sehr langsam vorankommt.  

 

 

Dies belegen in aller Kürze paar aktuelle und offizielle Zahlen aus dem ruandischen Zensus von 2022  (https://www.statistics.gov.rw/publication/rphc5-district-profile-karongi ) :

Der Sektor Murambi hat etwa 23.00 Einwohner, Murundi gut 27.000. Der Zensus 2022 zeigt viele Einzelheiten, z.B. dass fast 95 % einer christlichen Konfession angehören, hohe Schulbesuchsquoten (und stetiger Anstieg von Vorschulklassen) verzeichnet werden und  die Steigerungsrate der Geburten  gegenüber dem letzten Zensus vor 10 Jahren abnimmt (!). 45 % der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt (gleicher Prozentsatz wie im gesamten Land mit über 13 Millionen Einwohnern), nur gut ein Drittel der Bevölkerung des Distrikts geht einer Beschäftigung nach (im Alter zwischen 15 und 49 sind es mehr als die Hälfte), 44 % der Menschen zwischen 16 und 30 Jahren sind weder in Ausbildung noch in Schule. Die Mehrzahl der Menschen lebt in geplanten Siedlungen („Umudugudu“), wobei die Mehrzahl der Häuser aus getrockneten Lehmziegeln besteht und drei Viertel einen Lehmfußboden haben. In Murambi bzw. Murundi haben 70 bzw. 88 % keinen Stromanschluss, zwei Drittel bzw. die Hälfte nutzen eine Wasserversorgung, über 95 % kochen mit Holz. Zwei Drittel der Haushalte besitzen ein Radio, etwa zwei Drittel ein Mobilphone und  10 bzw. 5 % ein Smartphone, unter 1 % einen Computer,  86 bzw. 93 % nutzen das Internet nicht.

 

Selbst wenn man den Vergleich mit den städtischen Räumen in Ruanda hier nicht ausführt (es fehlen ja auch in dieser knappen Aufzählung viele andere Bereiche) wird deutlich, dass die Partnerregion abgehängt bleibt. Trotz der großen Fortschritte im Gesundheitswesen und den Schulen geht die Entwicklungs-Schere zwischen Stadt und Land weiter auseinander. Kigali 1989 und 2019 ist nicht mehr miteinander vergleichbar, der Straßenzustand in den Sektoren Murambi und Murundi schon noch – aber es stehen dort viele neu gebaute Schulen, und vielleicht ist dies angesichts der geringen Fahrzeugdichte auf dem Land auch wichtiger. Und die Schulen sind ja der Weg zum Fortschritt und der Entwicklung und für eine bessere Zukunft. Der Lern- und Leistungswille ist beeindruckend. Schülerinnen und Schüler bei uns hören ungläubig zu, wenn man erzählt, dass in den Internaten der Sekundarschulen auch am Sonntagmorgen vor dem Gottesdienst (den fast alle besuchen) von 7.00 bis 9.00 Uhr freiwillige Lerngruppen in den Klassenräumen sitzen und gemeinsam lernen.

 

Mehr als ein Dutzend Aufenthalte in Ruanda haben mein Bild von Ruanda nachhaltig geprägt. Es gab viele Einblicke: Als Mitglied von Partnerschaftsdelegationen, mit Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern von Partnerschulen, alleine unterwegs in den beiden Partnersektoren  und als „Senior Experte“ für die Stärkung der Schulpartnerschaften. Richtig angekommen war ich für meinen Kollegen Mézack aber erst, als meine Frau mit nach Ruanda gereist war und wir „en famille“ waren.

 

Ich muss noch einmal auf den Genozid 1994 zurückkommen als das einschneidende Ereignis in der Geschichte des Landes. Zwischen dem 7. April und 15. Juli 1994 wurden über 800 000 Menschen, überwiegend Tutsi, ermordet. Die Vorgeschichte, mindestens seit der (zu Beginn deutschen) Kolonialzeit muss man mit im Auge haben, sie ist ja auch in vielen Publikationen beschrieben worden. Die Ruandische Patriotische Front (RPF) unter Paul Kagame kämpfte gegen Hutu-Milizen und die Armee. Die UN waren nicht in der Lage und willens, den Massenmord durch die Armee und Hutu-Milizen zu unterbinden. Frankreich stützt die Errichtung einer Schutzzone, die es den Massenmördern ermöglicht, in den Kongo zu fliehen.

 

 Ich hatte im Herbst 1996 wieder die Gelegenheit, Ruanda zu besuchen. Die Schicksale  von Menschen, denen die überlebt haben und den getöteten, gehen mir nicht aus dem Kopf. Zu den Überlebenden kehrten wenige Tage nachdem wir aus Ruanda zurückgekommen waren, die Täter zurück. Sie liefen an den vorbereiteten Auffanglagern vorbei zu ihrem Heimathügel. Opfer und Täter lebten nebeneinander. In der Kirche in Nyamata, wo Menschen Zuflucht gesucht hatten und dort verraten und ermordet wurden, lagen noch die Leichen. In Nyange, in unserer Partnerregion, wurden Menschen in der Kirche mit Bulldozern, die die Wände zum Einsturz brachten, getötet. Heute sind dort Gedenkstätten. Im September 2023 wurden die vier Gedenkstätten Nyamata, Murambi (nicht unsere Partnergemeinde), Bisesero und Gisozi (in Kigali, letztere die Grabstätte von 250 000 Opfern) in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. 

 

Im Jahr 2000, als ich an der Amtseinführung von Präsident Kagame in Kigalis Stadion teilnehmen konnte, hätte ich nicht gedacht, dass nach einer Verfassungsänderung 2015 der Präsident bis 2034 gewählt werden kann (er ist heute 65 Jahre alt).  Ich hätte auch nicht gedacht, dass seit gut einem Jahrzehnt eine offizielle Sprachregelung nur noch vom Genozid gegen die Tutsi spricht und alle anderen Opfer(gruppen) ausschließt. Die Frage, ob nicht auch Kriegsverbrechen von der RPF verübt worden wären, ist nicht erlaubt.  Kritiker werden rasch als „Genozidleugner“ abgestempelt und verurteilt. Erinnerung wird staatlich reglementiert, aber es gibt nach meiner Ansicht keine kollektiven Erinnerungen, wohl aber kollektive Bedingungen, die Erinnerung möglich machen. Identität kann man nicht stiften. Man kann Frieden nur dann schließen, wenn man die Konflikte aufdeckt, die zugrunde liegen und zu schlichten sind. Die je verschiedenen Erinnerungen werden zu politischen Zwecken (de)konstruiert, um sie dem herrschenden Interesse anzupassen. Erinnerung ist mehr als die Summe der Erfahrungen, und wieweit sie „kollektiv“ und „richtig“ ist, wird nicht offen diskutiert. 

 

Es ist nicht leicht, Kritik am und in einem autokratischen System zu üben. Die Person des Präsidenten ist dabei außen vor, und ich habe mit Ruandern gesprochen, die Präsident Kagame als den einzigen Garanten sehen, dass es eine friedliche, stabile und prosperierende Weiterentwicklung gibt. Kritik an ihm ist nicht erlaubt und äußert öffentlich auch niemand, und Kritiker werden auch im Ausland verfolgt. Human Rights Watch belegt zahlreiche Menschenrechtsverletzungen von allen Seiten, und das schlechte Gewissen der westlichen Welt, die dem Genozid zusah, lässt vielleicht manches in milderem Licht erscheinen.  Von außen gesehen sind diese Anmerkungen ohnehin wohlfeil.

 

Die  enorme wirtschaftliche Entwicklung der letzten fast dreißig Jahre und Elemente wie die Gacaca-Gerichte zur Aufarbeitung des Genozids, die hohe Frauenquote im Parlament, die großen Fortschritte im Bildungs - und Gesundheitswesen, der (wirkungsvolle) Kampf gegen Unfähigkeit und Korruption in der Verwaltung, ruandische Soldaten bei UN-Friedensmissionen in Afrika sind  die eine Seite,  das Durchregieren der RPF in allen Ebenen, die eingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit, die unklare Rolle in den Konflikten im Kongo die andere. Sie tragen zu einem komplexen Bild von einem gerade im Vergleich mit den Nachbarländern prosperierenden Land bei. Ethnische Differenzen werden offiziell wegmoderiert („Wir sind alle Ruander“), die aber jedes Jahr bei den „Kwibuka“- Erinnerungsfeierlichkeiten an den Genozid im April wieder zum Thema. Die Erinnerung ist dann exklusiv, nicht inklusiv. Als Geschichts- und Politiklehrer liegt mir eine vergleichende Betrachtung mit unserem deutschen Umgang mit dem Nationalsozialismus nahe. Wie lange haben wir gebraucht, bis die Auschwitz-Prozesse begannen? Ist es nachvollziehbar, wenn an einer offiziellen Doktrin festgehalten wird, wenngleich sie in einigen Punkten fragwürdig ist? Auch in diesem Bereich habe ich Probleme, zu einer objektiven Beurteilung zu kommen, die nicht unzulässig verkürzt und falsche Maßstäbe anlegt. Die regelmäßige Lektüre von Newslettern, Zeitungen und Zeitschriften (englisch- oder französischsprachig), u.a. www.allafrica.com , www.theconversation.com erlaubt Einblicke in die aktuellen Diskussionen in und über Ruanda. Man lernt nie aus und immer noch dazu.

 

Ähnliches passiert mir bei der Beobachtung der wirtschaftlichen Entwicklung in Ruanda in den vergangenen dreißig Jahren. Die statistische Datenlage ist hervorragend (siehe oben), aber einzelne Problemfelder werden eher nicht thematisiert. Das gute Bildungsniveau und die Zahl der Arbeitsplätze bei immer weiter steigenden Schüler- und Absolventenzahlen passen (noch?) nicht zusammen, die Jugendarbeitslosigkeit ein großes Problem, das Stadt-Land-Gefälle nimmt weiter zu, und der Boom in der Hauptstadt Kigali steht im Kontrast zur Lage auf dem Land. Selbst die offiziellen Zahlen sprechen dort von Mangelernährung und Unterversorgung, die Lebensmittelpreise steigen immer weiter, die Selbstversorgung schwierig. 

 

Bei der anhaltend positiven Wirtschaftsentwicklung sieht man halt lieber auf „Leuchttürme“ wie den Masterplan der Stadtentwicklung Kigali oder die künftige „Biontech“-Fabrik als auf die ländliche Entwicklung. Es bleiben „Modernisierungsverlierer“ zurück. Verschärft wird dies durch die Auswirkungen des Klimawandels, der Regenzeiten nicht mehr stabil lässt und die Landwirtschaft mit dem Wechsel von Starkregen mit Überschwemmungen und Dürreperioden beeinträchtigt. Zum Stichwort Biontech: Das Mainzer Unternehmen startet 2024 in Kigali eine Impfstoffproduktion. Das ist nicht nur ein Blick in einen künftigen Markt (auch in Ghana und Senegal werden sog. „Modulare Produktionsplattformen“ aufgebaut).  Es soll mittelfristig die Abhängigkeit von Impfstoffen aus Europa und den USA verringern, die während der Corona-Pandemie zum mehr als peinlichen „Europe First“ geführt hat. Durch die Pandemie ist Ruanda vergleichsweise gut gekommen, mit geringen Opferzahlen und konsequenten Maßnahmen. Über Coronaleugner und Verschwörungsschwurbler bei uns haben meine Partner in Ruanda nur den Kopf geschüttelt.

 

 Für die Lehrkräfte, die Kinder und die Eltern war der lange Lockdown sehr schwierig. Eine Primarschulleiterin schrieb mir, dass sie ihre Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler monatelang nicht gesehen habe. Den Ausfall von neun Monaten Schulzeit hat man u.a. dadurch ausgeglichen, dass im Anschluss mehr unterrichtet wurde und das Schuljahr um ein dreiviertel Jahr verlängert wurde. Man stelle sich das bei uns vor! Einen längeren Beitrag über „Die Corona-Pandemie und die Folgen für Kinder und Schule in Ruanda“ habe ich 2021 in Band 20 des „Mainzer Kontaktstudium Geographie“ veröffentlicht. Den Text gebe ich als PDF auf Anfrage gerne weiter.

 

Wir müssen uns nicht verstecken: Die Bilanz der Projekte und der Schulpartnerschaften ist in Ruanda und auch bei uns in Rheinland-Pfalz positiv. Konkrete Erfahrungen für unsere Schülerinnen und Schüler können gewonnen werden, auch weil moderne Kommunikationsformen dies ermöglichen. WhatsApp-Nachrichten und Videokonferenzen sind, zumindest für die Sekundarschulen, kein Problem. Trotzdem haben manche Beobachter den Eindruck abnehmender Wertschätzung der Partnerschaft. Sie unterliegt eben auch einem Wandel auf beiden Seiten. Sie hat meinem Eindruck nach dann Probleme, wenn sie in der Entwicklungszusammenarbeit mit weltweit agierenden Einrichtungen und Investoren verglichen wird. 

 

Wir sind keine Konkurrenz zu großen Geldgebern, z.B. Südkorea oder Japan im Bereich der Schulausstattung, von China, den USA und anderen, die wirtschaftliche Interessen verfolgen, ganz zu schweigen.  Ein Wettstreit mit Investoren aus allen Kontinenten war nie intendiert, aber manchem Gesprächspartner in Ruanda ist das schwer zu vermitteln. Partnerschaftsaktionen gehen vergleichsweise langsam, bewegen relativ wenig Geld (auch das muss erst einmal zusammenkommen) und wirken für ein System, das auf Effizienz, Kontrolle und schnelle Entwicklung ausgerichtet ist, vielleicht wie ein Überbleibsel aus der alten Zeit. 

 

Es sind Menschen, die mit Menschen zusammenarbeiten, und nicht professionelle Nichtregierungsorganisationen (NGO) oder Staaten, die sich in Ruanda wie in einem Brennglas tummeln. Wobei: Der Partnerschaftsverein Rheinland-Pfalz/Ruanda und das Partnerschaftsbüro in Kigali arbeiten hoch professionell und leisten bessere und effektivere Arbeit als so manche große Organisation, die viel Geld für Werbung, Fundraising und Personal ausgibt. Die Partnerschaft wird weiter ihren Platz haben, als Möglichkeit der direkten Kommunikation und Entwicklung, die von beiden Seiten einvernehmlich, effektiv und nachhaltig weiterentwickelt und gelebt wird. 

 

Bild zur Meldung: 40 Jahre Ruanda-Komitee Bad Kreuznach