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Eindrücke vom Leben in Ruanda

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Ein Bericht von Vincent Shema

Ich heiße Vincent. Ich bin 13 Jahre alt und gehe in die 6. Klasse. Mein Lieblingsfach ist Mathematik und außerdem mag ich auch die Naturwissenschaften sehr gerne. Ich gehe sehr gerne in die Schule. Wenn ich einmal groß bin, dann möchte ich gerne Pilot werden.

Es gibt bei uns viele Probleme – viele von uns müssen sehr viele Kilometer laufen, um zur Schule zu kommen und wieder nach Hause. Die Kinder, die diese langen Schulwege haben, kommen mittags nicht nach Hause und haben in der Schule nichts zum Mittagessen. Deshalb schlafen sie mittags immer wieder ein in der Schule, weil sie so müde sind.

Zu Hause kann ich nicht lernen und kann keine Hausaufgaben machen, weil ich helfen muss. Ich muss nämlich jeden Tag Wasser und Brennholz holen und manchmal muss ich auch kochen. Die meisten von uns haben nur eine Schuluniform und wenn die kaputt geht, dann haben unsere Eltern meistens kein Geld, um eine neue zu kaufen. Und wir haben keine eigenen Schulbücher, höchstens in der Klasse. Da sind wir ungefähr 50 Kinder.

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Der Alltag einer Familie auf dem Land in Ruanda

Vorbemerkung:
Die folgenden Szenen aus dem Alltagsleben einer ruandischen Familie spielen sich in gleicher oder ähnlicher Weise hunderttausendfach im ganzen Land, auf jedem Hügel, in jedem „rugo“, das ganze Jahr hindurch seit längerer Zeit immer so ab wie im folgenden Text beschrieben. In den letzten Jahren hat gibt es eine davon deutlich unterschiedene moderne Entwicklung in der Hauptstadt Kigali und anderen Städten, doch noch immer leben etwa 80 % der Bevölkerung auf dem Land und haben die Selbstversorgung mit Lebensmitteln als Grundlage.


Der Morgen dämmert. Es ist sechs Uhr, und es wird rasch hell. Uwimana, die Frau des Bauern Munyanzeza, hat gerade ihr jüngstes Kind gestillt und erhebt sich von ihrem Lager, um die vier größeren Kinder zu wecken. Mukamusoni, ihre älteste Tochter, kehrt das Haus und den Hof, während der 12-jährige Kagabo und die 8-jährige Niyonsaba mit den Wasserbehältern zur Quelle gehen. Die beiden müssen sich mit ihrer Arbeit beeilen, denn um 8 Uhr beginnt die Schule, und bis dahin sind es noch fünf Kilometer Fußmarsch.

Uwimana will heute ein Feld mit Süßkartoffeln bepflanzen, zusammen mit ihrer ältesten Tochter und der jüngsten Schwester ihres Mannes. Gestern gab es einen guten Regen, und nun darf nicht länger gewartet werden. Der vierjährige Gahungu bleibt bei der Schwiegermutter von Uwimana, die wegen ihres starken Rheumas schon seit Jahren nicht mehr auf den Feldern arbeiten kann. Heute wird sie beim Mattenflechten die Kleinen versorgen, und zusammen werden sie auf die drei Ziegen aufpassen. Uwimana mit ihrem Jüngsten auf dem Rücken und die beiden Mädchen machen sich auf den Weg zum Feld. Jede transportiert einen großen Büschel Setzlinge auf dem Kopf und eine Hacke auf der Schulter.

Munyanzeza hat schon beim Morgengrauen das Haus verlassen. Der Zaun um das kleine Gehöft muss repariert werden. Nun schlägt er mit der Machete das nötige Holz in seinem nahen Eukalyptuswäldchen. Uwimana und die beiden Mädchen haben hart gearbeitet, das Süßkartoffelfeld ist bestellt. In ungefähr vier Monaten kann man auf eine gute Ernte hoffen. Am frühen Nachmittag kommen Mutter und Tochter nach Hause. Nach dem Gesicht, Hände und Füße gewaschen sind, das Kleine gestillt ist, wird es Zeit für die Hausarbeiten.

Mukamusoni, die älteste, geht nicht mehr zur Schule. Sie hat nach der vierten Klasse die Schule verlassen, um ihrer Mutter im Haushalt und bei den Feldarbeiten zu helfen.  Ihre jüngeren Geschwister sollen die Schule bis zum Ende besuchen, haben sich ihre Eltern fest vorgenommen.

Mukamusoni wäscht jetzt noch einige Kleidungsstücke, während Uwimana mit den beiden jüngeren Kindern auf Brennholzsuche geht. Nachdem sie zurück sind, bereiten Mutter und Tochter das Abendessen vor. In einem kleinen Nebengebäude befindet sich die Kochstelle. Dort lagern auch das Holz, einige Vorräte im geflochtenen Körben und die Arbeitsgeräte, ein Mörser aus Holz, zwei flache Steine zum Hirsemahlen und ein Tonkrug als Wasserbehälter. Gekocht wird auf einer offenen Feuerstelle aus drei Steinen, auf denen ein Tonkrug mit Zutaten steht. Zu essen gibt es heute Bohnen, Süßkartoffeln und Maniokblätter.

Vor dem Dunkelwerden, das jeden Abend nach 18.00 Uhr beginnt, hat sich die Familie wieder vollständig versammelt. Die Schulkinder sind vom Wasserholen zurück. Munyanzeza inspiziert noch seine kleine Kaffeepflanzung. Er hat ein paar Sträucher, deren Bohnen er verkaufen kann um so ein wenig Geld zu verdienen. Gemeinsam wird das Abendessen eingenommen. Für die Kinder steht in der Mitte eine hölzerne Schüssel, aus der sie essen. Die Eltern haben ihre eigenen Teller. Danach wird eine Kürbisflasche mit Hirsebier herumgereicht.

Später geht Munyanzeza noch zu einem Nachbarn, der seine Freunde zum Bananenwein eingeladen hat. Es ist schon dunkel geworden. Uwimana sitzt mit ihren Kindern im Hof und hat sich in Ruhe ihre Pfeife angesteckt. Zwei Nachbarinnen sind für einen Moment vorbeigekommen, es gibt viel zu erzählen und zu lachen. Die Höfe liegen nicht weit auseinander, und den Weg finden sie auch im Dunkeln.

Morgen ist Markttag, und die Frauen verabreden, gemeinsam auf den Markt zu gehen. Uwimana plant schon ihre Geschäfte, sie will fünf Eier und Süßkartoffeln verkaufen. Sie braucht Geld für das Petroleum der Lampe, ein Stück Seife und etwas Salz.

Der Mond steigt höher, es wird Zeit zum Schlafen, denn morgen ist wieder ein ereignisreicher Tag.


Nach: Familienalltag. In: Alltag in Ruanda (=PZ-Information 2/97), 2. Aufl. Bad Kreuznach 1997, S. 10; bearbeitet Karl Heil, Ruanda-Komitee e.V. Bad Kreuznach, Mai 2013