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Partnerschaft und Partnerland in Unterricht und Schule

In den meisten Schulen in Rheinland-Pfalz, die eine Partnerschaft mit einer Schule in Ruanda pflegen, ist die Beschäftigung mit dem Leben der Menschen und den Entwicklungen in Ruanda und mit der Partnerschaft kein Problem. Auf vielfältigen Wegen und Methoden wird der Gedanken des „Globalen Lernens in der Einen Welt“ umgesetzt. Im Rahmen einer „Bildung für nachhaltige Entwicklung“  ist dies Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags aller  Schulen. Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, sich mit gesellschaftlichen, ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen auseinander zu setzen. Die Vermittlung von Kenntnissen, Kompetenzen und Werten  soll auch dazu führen, eigene Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsspielräume einzuschätzen und im Sinne globaler Verantwortung wahrzunehmen. Am Beispiel der Partnerschaft Rheinland-Pfalz/Ruanda kann dies begreifbar gemacht werden. Der folgende Beitrag befasst sich mit aktuellen Themen, der Einordnung in die rheinland-pfälzischen Lehrpläne, dem Angebot der Lehrerfortbildung und Perspektiven für die Zukunft. Eine verändert Fassung ist in der Ruanda-Revue 2/2015 erschienen.

 

Unser Blick „nach Süden“, auf Staaten und die Lebenssituation von Menschen in der „Dritten Welt“ ist oft noch sehr eingeengt: Armut und Elend, Menschen, die im Müll nach Nahrung suchen, hungernde Kinder, Umweltzerstörung und Naturkatastrophen, Kriege und Ausbeutung, Flüchtlingsströme nach Katastrophen und kriegerischen Konflikten. Häufig wird Afrika als ein Kontinent gesehen, dessen Vielfalt von 54 Staaten, den Landschafts- und Klimazonen, den kulturellen Traditionen und politischen Entwicklungen von 1,1 Milliarden Menschen wir nicht gerecht werden. Allein die Fläche Afrikas zeigt: Es ist größer als die USA, Europa, Indien, China und Japan zusammen.

 

Die sozialen, politischen und ökonomischen Missstände in Afrika kann man nicht leugnen. Statistiken weisen Afrika den niedrigsten Entwicklungsstand aller Regionen der Welt zu - bei einer Höchstzahl militärischer und politischer Konflikte und einem minimalen Anteil an den globalisierten ökonomischen Prozessen. Auch angesichts von Armut und Hunger, von Krieg und Korruption, von Flucht und Vertreibung, von Malaria, Aids und Ebola, ist der Selbstbehauptungswille der „kleinen Leute“ groß. Der mühsame, aber meist erfolgreiche Überlebenskampf des größeren Teils der Bevölkerung ist eindrucksvoll. Den Blick „nach unten“ hat die Partnerschaft, weil sie sich den Menschen zuwendet. Durch das vielfältige Netz von direkter, freier Kommunikation zwischen Menschen in Rheinland-Pfalz und Ruanda kann ein wohltuender Kontrast zu den Klischees von Afrika, wie sie in Filmen und Romanen immer noch zu finden sind, vermittelt werden.

 

Die „Graswurzelpartnerschaft“ ist bundesweit immer noch einzigartig, wenn auch andere Bundesländer mittlerweile ähnlich Ansätze verfolgen. Wieweit trägt Ruanda als Beispiel für die Beschäftigung mit Fragen der Entwicklung und der Entwicklungszusammenarbeit in der Schule und der außerschulischen (Erwachsenen-) Bildung, und welche Einsichten sind dabei verallgemeinerbar?

Gelegentlich wird Ruanda als „Brennglas“ bezeichnet, weil sich typische Problemlagen von Staaten der „Dritten Welt“ in diesem kleinen Land besonders deutlich zeigen: Bevölkerungswachstum und Landmangel, Binnenlage und schlechte Infrastruktur, Fehlen nennenswerter Bodenschätze und Orientierung an Exportprodukten wie Kaffee und Tee, Dilemma zwischen „cash crop“, den in den Entwicklungsländern für den Export angebauten Nahrungsmitteln, und den „food crop“ der selbstversorgungsorientierten Landwirtschaft, schwacher Binnenmarkt und geringe Wertschöpfung, Tradition versus Moderne, zunehmende soziale Differenzierung in Arm und Reich, Rolle von Eliten und intransparente politische Prozessabläufe, „Kolonialerbe“ und Wirkungen der Entwicklungszusammenarbeit – die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

 

„Die Entwicklungsländer“ sind keine Einheit: Es bedarf der Differenzierung, des Überblicks, des Kontrastes wie der Vertiefung zur Erschließung typischer Elemente. Ruanda wird nicht als das Beispiel für die Darstellung des Komplexes Entwicklungsländer/Dritte Welt/ Entwicklungspolitik gelten können, aber es bietet besondere Möglichkeiten und Handlungsoptionen:

- Die Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz mit der Republik Ruanda ist ein besonderer Zugang zur Nord-Süd-Kooperation, der fachliche Information mit ethischen Werten und einer Handlungsdimension verknüpfen kann

- Komplexität und Multidimensionalität von Unterentwicklung, Entwicklung und Entwicklungspolitik oder zur Definition von Armut und Wohlstand können am Beispiel Ruanda in einer Fallstudie herausgearbeitet werden, die auch Möglichkeiten und Grenzen eigenen Engagements verdeutlichen können.

 

Für Schule (und die außerschulische Bildung) bieten sich Fragestellungen an wie

- die Bedeutung direkter partnerschaftlicher Kooperation („Graswurzelpartnerschaft“) für die Menschen in Ruanda und in Rheinland-Pfalz

- der Vergleich der „Graswurzelpartnerschaft“ mit staatlicher Entwicklungszusammenarbeit

- die Möglichkeiten eigenen Engagements im Rahmen der Partnerschaft

- die nachhaltige Wirkung längerfristiger Zusammenarbeit

- eine vergleichende Betrachtung einzelner Bereiche, z.B. den Ressourcenverbrauch, den Gebrauch und die Verschwendung von Lebensmitteln

- Wertvorstellungen im Alltag (Zusammenleben, Familie, …), Lebensstile und Vorbilder.

 

Was die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte angeht, so wird der Blick auf Ruanda oft zu anderen Beobachtungen führen als bei den anderen Staaten Afrikas. Ruanda durchläuft nach 1994 eine außergewöhnliche und in einzelnen Bereichen rasante Nachkriegsentwicklung. Das „land in a hurry“ , wie es Ruander selbst nennen, bietet viele Aspekte, z.B. den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft, die Aufarbeitung des Genozids, die Bedeutung von Frauen für die Entwicklung, den Kampf gegen die Korruption, die gesellschaftliche und soziale Entwicklung und Differenzierung Stadt-Land, den Ausbau des Bildungssektors und des Gesundheitswesens, neue Energiewirtschaft und internetaffine Dienstleistungen, die Kooperation mit den Nachbarn und der Einfluss Chinas sind spannende Themen, die einer breiteren Darstellung bedürften. Die Suche nach aktuellen Informationen und Unterrichtsmaterialien ist oft aufwändig.

 

Die Partnerschaft Rheinland-Pfalz/Ruanda findet in mehreren Lehrplänen des Landes in allen Schulstufen als explizit genannter Inhalt bzw. Inhaltsaspekt oder als Element von Lernzielen ihren Platz. Neben den Möglichkeiten für jede Lehrkraft, im Rahmen ihrer pädagogischen Gestaltung von Unterricht und im pädagogischen Freiraum einen Schwerpunkt auf Ruanda und die Partnerschaft Rheinland-Pfalz/Ruanda zu setzen, gibt es Lehrplanvorgaben, die den Stellenwert der Partnerschaft verdeutlichen. Die Gesellschaftswissenschaften (Erdkunde, Sozialkunde, Geschichte) und Religion /Ethik  haben hier besondere Bedeutung. Die Beispiele für die Grundschule, die Orientierungsstufe und die Sekundarstufe II  in verschiedenen Schularten sind  in den Lehrplänen auf dem Bildungsserver des Landes Rheinland-Pfalz zu findenhttp://lehrplaene.bildung-rp.de/schulart.html 

 

In der Sekundarstufe I der allgemeinbildenden Schulen (ausgenommen Gesamtschulen) ist derzeit der Lehrplan des Lernbereichs Gesellschaftswissenschaften in Erprobung, der im Schuljahr 2016/17 verbindlich werden soll. Er enthält ein gemeinsames gesellschaftswissenschaftliches Kompetenzmodell für Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde. In allen drei Fächern und allen genannten Schularten finden sich explizite Hinweise und verschiedene Möglichkeiten für die inhaltliche Anknüpfung der Partnerschaft Rheinland-Pfalz/Ruanda im Unterricht, wobei das Fach Erdkunde weiterhin eine besondere Bedeutung hat. Der Lehrplanentwurf kann heruntergeladen werden: http://geschichte.bildung-rp.de/grundlagen/lehrplaene.html

Eine Übersicht der Lehrplanbezüge ist im Beitrag „Die Partnerschaft Rheinland-Pfalz-Ruanda in Unterricht und Erwachsenenbildung“ zusammengestellt, der in der Broschüre „Eine Welt – Unsere Welt. Das Europäische Jahr für  Entwicklung in Rheinland-Pfalz“. Das im Mai 2015 von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz herausgegebene Heft ist neben der Druckform auch als Download  verfügbar: http://lv.rlp.de/service/veroeffentlichungen-zu-europa/broschueren-und-texte-zu-europa/einzelansicht/archive/2015/may/article/eine-welt-unsere-welt/?Fsize=-1&cHash=3aee1c205cd7f658812bc156d19104f3

 

In der gymnasialen Oberstufe, der Mainzer Studienstufe (MSS), haben seit dem  Juli 2011 in der „Lehrplananpassung Gesellschaftswissenschaftliches Aufgabenfeld“  das Thema Ruanda und die Partnerschaft Rheinland-Pfalz/Ruanda eine deutliche Akzentuierung im Grundfach und im Leistungsfach Erdkunde erfahren. Um dessen Umsetzung zu erleichtern wurde ein Beitrag „Ruanda. Lehrplan- und Unterrichtsthema  im gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld in den Jahrgangsstufen 11 bis 13 der gymnasialen Oberstufe (Mainzer Studienstufe)“ in Heft 02 der „Hinweise zur Lehrplananpassung in den Fächern Erdkunde und Sozialkunde“ (Hrsg. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Mainz 2012) veröffentlicht. Auch dieser Beitrag ist online verfügbar: http://www.rlp-ruanda.de/index.php?article_id=64

 

In den in Rheinland-Pfalz eingeführten Erdkunde- Schulbüchern sind Doppelseiten zu Ruanda und der Partnerschaft zu finden. Die geographische Fachliteratur beschäftigt sich immer wieder mit Ruanda, zuletzt in mehreren Beiträgen im Schwerpunktheft „Zentralafrika und die Great-Lakes-Region“ der Geographischen Rundschau, Heft 6/2015. Ist der Informationsbedarf bei den Lehrkräften damit gedeckt? Wenn man das Angebot an Veranstaltungen betrachtet, scheint dies naheliegend. Ein Aufruf der Fortbildungsplattform „tis-online“ am 17.08.2015 ist ernüchternd: Nur ein einziges  Angebot für alle Schularten und –stufen, eine eintägige Veranstaltung des ILF am 11.11.2015 in Vallendar, Kursleitung Karl Heil und Beate Wegmann. Wer im Verteiler der Fridtjof-Nansen-Akademie Ingelheim ist, erfährt, dass am 10. 11.2015 Prof. Volker Wilhelmi ein ebenfalls eintägiges Seminar anbietet. Die beiden Angebote sind bescheiden, auch in den vergangenen Jahren war dies ähnlich wenig. Sie bilden wohl aber Bedarf und Interessenlagen ab, indem sie aktuelle Informationen über Ruanda, den Austausch über Erfahrungen und Praxis von Schulpartnerschaften sowie Anregungen für den Unterricht und Unterrichtsmaterialien als Inhalte haben. Die Homepage und die Newsletter des Partnerschaftsvereins und die Ruanda-Revue sind ja eine gute Informationsgrundlage.

 

Für die Schulen in Rheinland-Pfalz sind also, in verschiedener Intensität, Ruanda und die Partnerschaft ein „Muss“ – auch in den Schulen, die (noch) keine Schulpartnerschaft haben. Lehrpläne, Schulbücher und Unterrichtsmaterialien bieten eine gute Grundlage. Wer sich mit dem „pädagogischen Überbau“ genauer und für viele Schulfächer und –stufen beschäftigen will, kann dies mit dem vor wenigen Monaten, im Juni 2015 durch die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder verabschiedeten „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung“ tun. Der erweiterte und aktualisierte Orientierungsrahmen unterstützt in den deutschen Schulen eine Bildung für nachhaltige Entwicklung: http://www.engagement-global.de/globale-entwicklung.html

 

Schulpartnerschaften und deren Verankerung in der Schulgemeinschaft sind ein ganz hervorragender Weg, sich mit der Einen Welt zu beschäftigen und Abstraktes konkret zu machen. Die Kontakte und Schwerpunkte werden die Partner in Ruanda und Rheinland-Pfalz gemeinsam festlegen, und vielleicht werden sie durch Schüler-/Lehreraustausche und  Lehrerreisen noch intensiver. Wer als Schüler die Partnerschaft erlebt hat, kann sie als Erwachsener weiter tragen.

 

Wenn wir von „Partnerschaft auf Augenhöhe“ und „Lernen von Afrika“ sprechen, so ist ein anderer Blick nach Ruanda interessant, zu dem Bild, das Menschen in und aus Ruanda über sich, ihr Land, ihre Gesellschaft und auch über die Partnerschaft vermitteln. Filme aus Ruanda wie die von Eric Kabera, der „Hillywood“, das Rwanda Film Festival, ins Leben gerufen hat und vielen jungen Filmemachern in Kigali hilft (auf YouTube kann man einiges finden), können ein interessanter Weg sein.

 

Ein Blick auf die Schulen in Ruanda stellt andere Herausforderungen als in Rheinland-Pfalz in den Vordergrund. Die neue Bestandsaufnahme ist lesenswert: http://unesdoc.unesco.org/images/0023/002317/231725e.pdf

Die nächsten Schritte folgen: Das „land in a hurry“ führt 2016 neue Lehrpläne ein, innerhalb von drei Jahren in allen Schulstufen von der Vorschule bis Klassenstufe 12. Der Rwanda Education Board (REB) hat alle Lehrpläne und die Einführungen (englische Kurzfassung von 32 Seiten, Langfassung 342 Seiten) ins Netz gestellt: www.reb.rw . Ein sehr ehrgeiziges Programm! Grundkompetenzen sind: [Altersgemäß gestufte] Beherrschung von Lesen, Schreiben und Rechnen, Informations- und Kommunikationstechnologie, staatsbürgerschaftliches Verhalten und nationale Identität, unternehmerisches Verhalten und wirtschaftliche Entwicklung, Wissenschaft und Technologie. Lehrplanübergreifende Themen sind: Studien zum Genozid, Umwelt und Nachhaltigkeit, Gleichheit der Geschlechter, umfassende Sexualerziehung, Friedens- und Werteerziehung, Finanz-Erziehung, Kultur der Standardisierung, Inklusive Erziehung. Das Schuljahr wird um drei Unterrichtswochen verlängert, Lehrerfortbildung für die Einführung des „kompetenzbasierten Curriculums“ verpflichtend.

 

Auch hier wird es Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Rahmen der Partnerschaft geben können. Was spricht z. B. gegen die direkte Kommunikation von Lehrkräften der Partnerschulen über Unterrichtsfragen? In Englisch, gewiss - aber das ist ja für beide Seiten eine Fremdsprache. Es gibt noch viel zu tun, und es gibt viele Chancen, neue Erfahrungen zu machen.